Donnerstag, 6. März 2014

Die Robin Hoods der Straße

Ich möchte in diesem Post gerne einen Gedanken verfolgen, der mir neulich auf der Fahrt in die Stadt in den Sinn gekommen ist und der mich nicht mehr so recht loslassen will. Das wird hoffentlich etwas zum Nachdenken werden, aber so recht bin ich mir noch nicht sicher. Wahrscheinlich lest ihr am Besten selbst, was ich mir so zusammengedacht habe.
"35 000 Shilling!", erklärt mir der Verkäufer mit einem netten Lächeln auf dem Gesicht und hält die kleine Secondhandtasche in der Hand, nach deren Preis ich gefragt habe. "Was soll das? Wie kann ich denn da bitte auf einen normalen Preis herunterhandeln? Soll ich bei -10 000 anfangen oder was?", geht mein Temperament ein bisschen mit mir durch und ich gehe verärgert weg. 35 000 Shilling, das sind in etwa 16€. Das ist viel für eine Secondhandtasche, doch es kommt noch hinzu, dass ich schon angefangen habe in Shilling zu denken. "Das sind 70 Daladalafahrten von mir in die Stadt... oder 35 Liter Wasser, 3 richtig gute Abendessen in einem der teureren Restaurants!", denke ich mir also und das macht mich noch einem wütender. Warum bekomme ich diesen Preis gesagt, während meine Kollegin im Kindergarten eine ähnliche Tasche für 2000Shilling (etwas weniger als 1€) bekommen hat? Was ist der große Unterschied? Die Antwort ist eigentlich simpel: Ich bin weiß.

Bin ich hier Opfer von Diskriminierung? Naja, irgendwie schon. Ich bin der Mzungu (=Weißer), der mehr zahlen muss, weil man von ihm erwartet, dass er mehr Geld hat. Weil man es erwartet und weil es irgendwie auch stimmt. Sicher gibt es noch eine deutliche Differenz zwischen mir als Volontär und einem Luxusurlauber, was die Größe des Unterschiedes ausmacht und es gibt hier auch einige Tansanier, die auf jeden Fall besser verdienen als ich, aber letztlich kann ich es doch nicht leugnen: Ich stehe sehr gut da mit meiner Krankenversicherung, meinem sicheren Rückflugticket nach Deutschland, meinen 100€ Taschengeld + Versorgungsgeld von meiner Organisation und den Möglichkeiten zu Studium und Berufswahl, die sich mir in Deutschland bieten, im Vergleich zu 13 % Analphabeten (Quelle), mangelndem Lehrpersonal und -mitteln in den Schulen und 4,2 Millionen Tansaniern (ca. 10%), die unter extremer Armut leben (=> Sie essen weniger als 2000 Kilokalorien pro Tag) (Quelle). Ist es da gerechtfertigt, von mir mehr Geld zu verlangen? Mein persönliches Empfinden ist empört, dass sich mir dieser Gedanke überhaupt stellt. Natürlich nicht. Was ist mit Gleichberechtigung aller Menschen, egal welcher Nation, Hautfarbe, welchen Geschlechts etc.? Aber es gibt diesen anderen Teil meiner Gedankenwelt, der auf die Frage eine ganz andere Antwort findet. Und dabei kommt mir dann die Geschichte von Robin Hood in den Sinn.

Ich nehme an, jeder sollte sie kennen, trotzdem noch einmal zur Erinnerung. Wir haben den bösen Sheriff (und seine Kollegen), der von den Bürgern viel zu viel Geld in Form von Steuern etc. verlangt und dadurch ein gutes Leben führt, ganz im Gegensatz zu den Bürgern, die jeden Tag um ihr eigenes Leben kämpfen müssen. Und dann gibt es da noch Robin Hood und seine Leute, die dieser Ungerechtigkeit den Kampf angesagt haben. "Wir nehmen das Geld von den Reichen und geben es den Armen!", so (oder so ähnlich) der Slogan, den ich immer ziemlich cool fand. Ich meine, es ist doch ganz klar, wer hier der Gute und wer der Böse ist...
Ihr seht sicher, worauf ich hinaus will und mir gefällt das ebensowenig wie so manchem von euch vielleicht. Wenden wir diese Geschichte doch einmal auf mein obriges Beispiel vom Straßenverkäufer an. Da ist meine Rolle irgendwie nicht gerade so positiv. Bin ICH, oder vielleicht sogar: sind WIR der böse Sheriff. Denken wir doch einmal darüber nach: Was charakterisiert den bösen Sheriff?

1. Er ist reicher als die Bürger

Naja, es gibt ja auch immer noch die Leute, denen es besser geht als mir, die mehr Geld haben, sich mehr leisten können und.... ja, okay, ich sehe es ein: Das trifft wohl im übertragenen Sinne in vielen Hinsichten zu.

-----> Korrekt!

2. Er beutet die Bürger aus und lebt auf ihre Kosten

Das ist der Punkt, der das Böse am Sheriff ausmacht, oder etwa nicht. Reich zu sein ist ja an sich keine Schande, oder etwa doch? Wann beute ich denn bitte andere Menschen aus? Wo lebe ich denn auf Kosten anderer Menschen. Ich meine... okay: Ich habe T-Shirts von H&M in meinem Schrank, das ist sicher nicht so gut. Die sind eben billig. Ich kaufe auch nicht bloß Bio, Fair-Traide und sowas, wievielen Menschen schade ich wohl durch das, was ich esse? Stromspaaren, CO2 Reduzieren und richtig gegen den Klimawandel kämpfen... manchmal bin ich schon einfach zu faul. Wer mag wohl darunter leiden? Und einmal auf meinen Hintergrund bezogen. Wo kommt der Reichtum her, den Deutschland sich leistet. Wäre das immer so möglich, wenn wir nicht alle auf Kosten von anderen Menschen leben würden. Der Menschen, denen ich hier teilweise begegne und den Menschen, die in anderen Teilen der Welt unter meinem, unter unserem Verhalten leiden müssen. Gibt es da nicht irgendwelche starken Gegenargumente? Ich meine: Ich kann doch nicht wirklich... oder etwa doch? Irgendwie muss ich schweren Herzens feststellen, dass auch dieser 2. Punkt irgendwie seine Berechtigung hat.

----> Korrekt! 

Und damit komme ich zu einem ziemlich niederschmetternden Ergebnis. Meine Rolle im weltweiten Robin Hood ist die des bösen Sheriffs. Manche Faktoren davon kann ich selbst beeinflussen, andere liegen in der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Kultur meines Landes verankert. 
Damit wäre der Robin Hood ja dann wohl der Straßenverkäufer, der für seine Tasche 35 000 Shilling haben möchte. Er ist noch ein sehr netter Robin, wenn wir das mal vergleichen. Ich werde nicht bestohlen, ich muss "nur" mehr bezahlen, für das, was ich möchte. Und nicht einmal das kann so pauschal gesagt werden, denn meine Tasche habe ich bekommen, an einem anderen Ort und für 3000 Shilling (1,50€). Ich habe mich sehr gefreut darüber, aber die Geschichte von Robin Hood geht mir doch nicht mehr aus dem Sinn. Ich sehe mich viel zu oft als Opfer und bin doch eigentlich in der Täterrolle. Das sind wir ALLE! Denkt mal drüber nach! 

 




1 Kommentar:

  1. Interessanter Gedanke Verena! Robin Hood würde ich ihn aber eher nennen wenn er dann nicht nur in die eigene Tasche wirtschaftet sondern dann auch etwas davon an (noch) Ärmere abgibt.
    Schön, an deinen Gedanken teilzuhaben!

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